Geschäftsbericht 2023 Sozialbau

Wirtschaftsbericht 16 17 Wirtschaftsbericht Herr Heubuch, Herr Langenmaier: der Immobilienmarkt ist angespannt, die Lage für die Baubranche kritisch. Was bedeutet das für die Sozialbau? Thomas Heubuch: Es gibt in Kempten Bedarf an Wohnungen. Grundsätzlich ist es unsere Aufgabe, dem gerecht zu werden und weiterhin auch neuen Wohnraum trotz widriger Umstände zur Verfügung zu stellen. Wir führen die Projekte, die geplant sind, nahtlos weiter. In der Parkstadt Engelhalde haben wir im Frühjahr 2024 beispielsweise mit dem Bau der ersten 56 Wohnungen von insgesamt 400 Miet- und Eigentumswohnungen begonnen. Es stimmt, die Situation am Bau ist schwierig, aber wir sehen bereits Zeichen, die das wirtschaftliche Bauen wieder möglich machen. Inwiefern? Thomas Heubuch: Es ist eine gewisse Marktentspannung spürbar. Wir haben nicht mehr diesen starken Anstieg der Baukosten, die Lage hat sich ein bisschen beruhigt. Wir können wieder besser planen. Martin Langenmaier: Gerade im Verkaufswohnungsbau spielen auch psychologische Faktoren eine große Rolle. Wenn die Zinsen – so wie aktuell– nicht mehr steigen und es am Markt Anzeichen gibt, dass diese fallen können, werden Immobilienkäufer wieder mehr bereit sein zu investieren. Thomas Heubuch: Wichtig ist in so einer angespannten Lage darauf zu achten, was man baut. Hohe Qualität ist dabei erforderlich. Nichtsdestotrotz sind wir überzeugt, dass wir auf unnötige Haustechnik verzichten sollten. Wir müssen solide bauen, so wie es unsere Käufer und Mieter auch wirklich brauchen. Was ist denn aus Ihrer Sicht unnötig? Thomas Heubuch: Die Zwangsbelüftung von Wohnräumen ist zum Beispiel aus unserer Sicht unnötig. Wir wissen, dass wir mit einem System, bei dem über den Fensterfalz Luft nachströmen kann, eine genauso nachhaltige Wohnqualität anbieten können wie mit einer mechanischen Be- und Entlüftung. Aber diese Fensterfalzlüftung ist um ein Vielfaches günstiger. Martin Langenmaier: Dazu gehört auch eine geradlinige Architektur. Sie muss diejenigen, die dort wohnen, ansprechen, darf aber nicht zu verspielt sein. Wir müssen uns darauf konzentrieren, was sich bewährt hat. Für große Pilotprojekte ist nicht die richtige Zeit, das würde die Kosten sprengen. Inwiefern sind unsere Baunormen daran schuld? Martin Langenmaier: Deutschland geht bei vielen Baunormen über das EU-Niveau aus Brüssel hinaus. Bereits vor fast einem Jahrzehnt hat die sogenannte „Baukostensenkungskommission“ Wie Normen und Vorschriften die Baupreise treiben 1 Die Zahl der Normen nimmt seit Jahren zu. In der Bauwirtschaft ist die Anzahl in den vergangenen zehn Jahren um fast 20 Prozent angestiegen, so dass derzeit über 3.900 Normen im Bauwesen einzuhalten sind. Zusätzlich zu den Baunormen der EU wird auch in Deutschland der Normungsprozess ungebremst weiter betrieben. Die Sozialbau-Geschäftsleitung mit Thomas Heubuch und Martin Langenmaier will an den Plänen für 400 neue Wohnungen in der Parkstadt Engelhalde und an 68 Apartments im Gästehaus am Calgeerpark festhalten. Die kostensteigernden Baunormen und die wirtschaftliche Stimmung sind allerdings kritisch im Fokus zu behalten. die zunehmenden Anforderungen bemängelt. Seitdem ist so gut wie nichts passiert. Über 3.900 Baunormen gelten allein für das Bauwesen: von der Treppenhöhe über den Lärm- und Schallschutz bis zum Brandschutz. Generell ist es kaum möglich, so zu bauen, dass man mit Mietwohnungen eine schwarze Null erwirtschaftet. Bauen in Holzbauweise ist noch schwieriger. Mietwohnungsneubau in Deutschland lässt sich wirtschaftlich nicht mehr herstellen. Dafür müssten Kaltmieten um 18 €/m2 verlangt werden, die nicht mehr bezahlbar wären. Wir haben viel zu viele Auflagen mit noch mehr Bauvorschriften. Das komplette System ist krank. Welche Vorgaben müssen wegfallen, damit der Wohnungsbau wirtschaftlich wieder leichter umsetzbar ist? Thomas Heubuch: Wir müssen dafür sorgen, dass die Baukosten nicht aus dem Ruder laufen, sowohl bei Neubauten als auch bei der Sanierung von bestehenden Gebäuden. Deshalb müssen wir einige Vorschriften beim Lärm- und Naturschutz, aber auch im Bereich Wärmedämmung lockern. Gibt beispielsweise der Gesetzgeber eine übermäßige Dämmung vor, muss eine teure Haustechnik für eine ausreichende Belüftung installiert werden. Unbestritten ist es notwendig, auch im Gebäudesektor den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Anstelle von vorgeschriebenen Wärmedämmwerten bei Gebäuden könnte allerdings auch der Gesamt-CO2-Verbrauch durch den Einsatz von CO2-armer Fernwärme zur Energieversorgung limitiert werden. So würde weniger CO2 ausgestoßen, unabhängig von erhöhten Dämmwerten. Ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich: Der Gesetzgeber schreibt einen Cyber-Schutz für Aufzüge vor! Dieser verursacht zusätzliche Kosten durch Wartung und TÜVPrüfungen. Jede Vorschrift, für sich genommen, mag ihre logische Berechtigung haben, aber all das zusammengenommen mit verschiedenen Krisen der Gegenwart überfordert die Wohnungswirtschaft. Bayern benötigt 70.000 neue Wohnungen pro Jahr. Wie aktiv ist die Sozialbau? Thomas Heubuch: die Sozialbau ist Garant, bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zu schaffen und vereint dabei die effiziente und nachhaltige Bewirtschaftung und Bauweise unter Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren. So konnten im Wohnpark Funkenwiese bis zum Jahresende 2023 sieben Mehrfamilienhäuser mit 183 Wohnungen fertiggestellt werden. Mit dem Gästehaus am Calgeerpark wird mit 68 Apartments Wohnraum für dringend benötigte Mitarbeitende in Pflegeberufen und Studierende geschaffen und seit Frühjahr 2024 entstehen in der Parkstadt Engelhalde die ersten 56 von insgesamt 400 Miet- und Eigentumswohnungen. Schließlich haben wir 2023 im Stadtteil Thingers ein neues Bewohner-Parkhaus mit 203 Stellplätzen anstelle der alten Parkgarage mit 107 Stellplätzen realisiert, das nun die Parksituation im gesamten Quartier wesentlich entspannt. Martin Langenmaier: Die 4.224 Sozialbau-eigenen Mietwohnungen sind mit einer günstigen Durchschnittsmiete von 6,47 €/m², inklusive der Neubauvermietungen, sozial orientiert vermietet und damit die wirkungsvollste Mietpreisbremse im Allgäu. Aus dem Bestand der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) hat die Sozialbau jüngst 170 Wohnungen in der „Rottachsiedlung“ erworben. Dadurch wird zusätzlich dringend benötigter, günstiger Wohnraum der Stadt Kempten zur Verfügung gestellt. Für die Instandhaltung und Modernisierung des Sozialbau-eigenen Wohnungsbestandes haben wir im Jahr 2023 bisher einmalige 12,6 Millionen Euro investiert. Wie wird sich die Sozialbau die nächsten Jahre entwickeln? Thomas Heubuch: In den nächsten Jahren fokussiert die Sozialbau ihre Geschäftstätigkeit weiter auf eine aktive Neubautätigkeit, geförderte Wohnungsneubauten sowie die Substanzpflege des Wohngebäudebestandes der 1960er- bis 1980er-Baujahre. Rund 30 Millionen Euro sind bis 2026 für betriebswirtschaftlich tragbare Energieeinsparungen zur angestrebten Klimaneutralität geplant. Martin Langenmaier: Seit 1990 hat die Sozialbau den CO2-Ausstoß bereits um 73 % reduziert. Damit hat die Sozialbau das gesetzliche Reduktionsziel von 65 % bis 2030 bereits heute erreicht und liegt somit in der Spitzengruppe von 3.000 Wohnungsunternehmen in Deutschland. Auch werden wir unsere Digitalisierungsstrategie weiter vorantreiben. So wird beispielsweise bereits jetzt der Einsatz künstlicher Intelligenz bei Sozialbau schrittweise angewendet und kann ein Baustein sein, die Normierungsflut in den Griff zu bekommen. Wir haben hierzu die Richtlinie für den Einsatz von KI bei Sozialbau fixiert und die ersten Anwendungen für die lizenzierte Nutzung von KI-Tools freigegeben.

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